Im August durfte ich im Rahmen einer Pressekonferenz auf dem Bauhaus Archiv Campus rumhüpfen, Tiny Houses angucken und den Karma-Ökonomen Van Bo Le-Mentzel interviewen. Teil 2 unseres Gesprächs.
Die Prosumentenbewegung
Netzknüpferei: Du hast eine Facebookseite gegründet mit dem Namen „Konstruieren statt Konsumieren“. Was ist der Inhalt dieser Seite? Es taucht dort immer wieder der Begriff Prosumenten auf. Was bedeutet der?
Van Bo Le-Mentzel: Die Prosumentenbewegung ist eine Bewegung, die anfänglich in den 80er-Jahren interessant wurde, als die Solarzellen erfunden wurden. Fotovoltaik heißt es ja auch. Da haben zum ersten Mal Stromkonsumenten, die normalerweise den Strom gekauft haben, bei der Vattenfall oder sonstwo angefangen, selber Strom herzustellen – für Vattenfall. Und das ist natürlich interessant. Wenn du sozusagen Lieferant bist für einen Konzern, dann weißt du ja genau, was wie viel kostet, was wie hergestellt wird, unter welchen Konditionen. Vattenfall kann dich dann nicht mehr verarschen. Und die Leute, die sich Solarzellen aufs Dach packen, produzieren meist so viel Strom, dass was übrig bleibt. Das wird dann wieder ins „Smart Grid“, ins System eingespeist und über die Vattenfall oder einen anderen Konzern verwaltet und verkauft.
Das ist die Prosumentenbewegung – wo ganz normale Konsumenten anfangen, selber zu produzieren. Ohne selbst eine Firma gründen zu müssen. Das hat mich interessiert. Mich interessiert die Ermächtigung von, ich sag mal, nicht privilegierten Menschen. Wie kann man denen mehr Macht geben. Konsumenten haben erst mal weniger Entscheidungskraft als so ein CEO, ein Konzern, ein Geschäftsführer oder Politiker. Viele zusammen haben vielleicht doch wieder eine Schlagkraft, aber ein einzelner Konsument kann eigentlich wenig ausrichten. Mich interessieren Modelle, wo das umgedreht wird. Wo die Macht bei den Flüchtlingen, Wohnungslosen, Leuten, die keine Abi gemacht, die Schule abgebrochen haben, die als behindert gelten, liegt.

Van Bo Le-Mentzel im Tiny Bauhaus Salon
Netzknüpferei: Hast du bestimmte Werte, auf denen dein Handeln basiert?
Van Bo Le-Mentzel: Ja! Das sind genau 19 Werte, auf denen mein Handeln basiert … und sie fußen alle auf den 19 Grundrechten des Grundgesetzes. Der erste Wert ist schon Wahnsinn! Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich finde das super. Dass alle ein Recht darauf haben, in Würde leben, essen oder auch wohnen zu können. Und da steht nicht, die Würde des deutschen Staatsbürgers ist unantastbar. Das schließt also auch die Würde der Menschen ein, die außerhalb von Deutschland sind. Und Leute in Deutschland, die keinen deutschen Pass haben. Flüchtlinge zum Beispiel. Und das sehe ich noch nicht gewährleistet, dass jeder in Würde wohnen kann.
Startnext, der Karma-Laden
Netzknüpferei: Ich möchte noch zum Thema Crowdfunding überleiten – du hast ja mehrere Crowdfunding-Projekte gestartet. Warum nutzt du bevorzugt die Crowdfundingplattform Startnext?
Van Bo Le-Mentzel: Startnext ist halt ein guter Karma-Laden. Wenn ich ein Crowdfunding mache, geht’s mir nicht in erster Linie ums Geld. Klar geht man dahin, um Geld zu funden. Mir geht’s aber viel mehr um die Gemeinschaft. Ich suche eine Crowd. Ich würde gern eine Community aufbauen. Kickstarter fällt für mich flach, das ist eine rein kommerzielle Kiste. Und Startnext hat mal angefangen wie ein Karma-Unternehmen. Jetzt sind sie zwar eine GmbH, aber der Geist des Karma-Prinzips ist dort noch gegenwärtig. Es gibt dieses Prinzip bei Startnext – du bezahlst keine feste Gebühr, d.h. diese basiert dort auf Freiwilligkeit. Obwohl, wenn man Crowdfunding machen will, ist die Plattform eigentlich egal. Startnext und Kickstarter machen ja keine Werbung für dich.
Netzknüpferei: Du meintest, du möchtest mit Crowdfunding eine Community aufbauen – hast du da noch weitere Ziele?
Van Bo Le-Mentzel: Ich bin ja ein Karma-Ökonom. Das heißt, alles was ich mache, basiert auf dem Prinzip, dass ich gern gutes Karma in meine Umwelt, meine Familie, meine Nachbarschaft, diesen Campus bringen will. Das ist das Ziel. Dann umgebe ich mich gern mit Menschen, die ähnlich ticken wie ich. Die der Meinung sind, man muss halt einen Beitrag leisten für die Gesellschaft. Ich bin der Meinung, das sind viele – das sind richtig viele, die so ticken. Die zum Beispiel Geld gerne verschenken. Die gerne helfen und teilen. Crowdfunding ist halt ein guter Weg. Die Alternative ist, zu einer Bank zu gehen, aber da gibt’s von dieser Sorte von Mensch, die dir einfach nur was schenken wollen, wahnsinnig wenige. Eigentlich niemanden. Außer die GLS Bank vielleicht.

Pause und Pose vor dem Bauhausarchiv Berlin
Netzknüpferei: Hauptsächlich geht’s dir also darum, Gleichgesinnte zu finden und möglichst viele Leute zu erreichen?
Van Bo Le-Mentzel: Na ja. Ich versuche einfach, Menschen zu helfen. Es gibt so viel Menschen, die wissen sich nicht zu helfen. Die sind depressiv. So viele, die aus dem System rausfallen, die Hartz IV beziehen, nicht anerkannt werden, weil sie zu groß, zu klein, zu dick, anders sind. Diesen Menschen. Und ich helfe denen am besten, wenn ich ihnen einen Platz gebe. Ich glaube nicht, dass diese Menschen einen Arbeitsplatz brauchen. Sie brauchen eher einen Gesellschaftsplatz. Viele sagen ja, ich brauche meine Arbeit, sonst bin ich nicht komplett, aber ich glaube, die meinen etwas anderes. Die meinen eher, sie brauchen einen Ort in der Gesellschaft. An dem niemand rüttelt, der ihnen sicher ist. Wenn das verbunden mit Arbeit ist – auch gut.
Ich kenne einfach so viele Menschen, die suchen diesen Gesellschaftsplatz und finden ihn nicht. Und werden abgewiesen. Ich bin nur ein einzelner Mensch und kann nicht viel erreichen – aber eine Crowd aufbauen. Und wenn der eine sagt, ich brauche eine Ausbildung zum Tischler – die kann ich ihm nicht geben. Doch dann gucke ich halt in meiner Crowd, gibt es eine Tischlerei oder eine Ausbildung, und dann finden die sich gegenseitig. So kann ich das Karma verbessern für die beiden. Ich freu mich dann auch, ich hab auch was davon. Ich profitiere davon sehr stark, dass ich anderen Menschen helfe.
Netzknüpferei: Letzte Frage: Was ist deine Vision?
Van Bo Le-Mentzel: Ich hab einen großen Traum. Mein Wunsch wäre es, dass wir alle unabhängig von unseren Einkünften und unserer Herkunft einfach dort hingehen können, wo wir wollen. Das ist meine Vision. Wenn du z.B. als Nomade leben willst, als Nomade. Wenn du als Siedler leben willst, als Siedler. Jeder so, wie er oder sie mag. Das fände ich toll, wenn jeder einfach hingehen und wohnen kann, wo er oder sie will.
Zum Teil 1 des Interviews: Van Bo Le-Mentzel und die Tinyhouse University
Crowdfunding ist in jedem Fall mehr, als nur Geld für Projekte zu sammeln. Leider denken viele nicht so darüber und nutzen es einfach nur als Finanzierungsmöglichkeit eigener Projekte.
Das ist absolut richtig, Kai. Ich führe das gern in einem späteren Beitrag hier auf dem Blog mal näher aus. Danke dir für die Anregung!